Über die Notwendigkeit, wenig populäre Initiativen zu unterstützen und politische Risiken in Kauf zu nehmen.
Deutschland und Frankreich sind befreundete Länder, aber auch Wettbewerber innerhalb der EU: Jeder möchte die bessere Performance bieten. Dies gilt vom wirtschaftlichen Wachstum und Innovation über die Beschäftigung bis zur Integration von Migranten und zur Energie- und Digitalwende.
Autor
Thomas Hanke
Publizist und Autor des Buches “Können wir Frankreich vertrauen?
Deutsche Klischees und französische Realität.”
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DATE
September 2021
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Über die Notwendigkeit, wenig populäre Initiativen zu unterstützen und politische Risiken in Kauf zu nehmen.
Deutschland und Frankreich sind befreundete Länder, aber auch Wettbewerber innerhalb der EU: Jeder möchte die bessere Performance bieten. Dies gilt vom wirtschaftlichen Wachstum und Innovation über die Beschäftigung bis zur Integration von Migranten und zur Energie- und Digitalwende.
Eine Dimension bleibt dabei meist außen vor: die Führungsfähigkeit und auch der Führungswille der Spitzenpolitiker. Die Bereitschaft, für wenig populäre Initiativen politische Risiken einzugehen, den Kurs der Regierung nicht an Umfragen, sondern an der eigenen Überzeugung auszurichten, steht selten im Fokus. Gerade hier aber könnte Deutschland aktuell von seinem Freund und Nachbarn Frankreich einiges abschauen.
Wegducken oder politische Führung?
In der Corona-Pandemie zeigt sich, dass in Paris ein anderes Verständnis von politischer Führung vorherrscht. Grundsätzlich verfolgen beide Länder zwar dieselbe Strategie: Deutschland wie Frankreich haben sich im Kampf gegen Corona für die Immunisierung durch Massenimpfungen ausgesprochen, aus Rücksicht auf Widerstände aber früh auf eine Impfflicht verzichtet.
Aber während die Bundesregierung – trotz abnehmender Zahl verabreichter Dosen, der Delta-Variante und dem damit verbundenen sprunghaften Anstieg der Zahl der Erkrankten – bei der Ablehnung der Impfflicht blieb, schlug Emmanuel Macron in Frankreich am 12. Juli in seiner Rede zum Nationalfeiertag einen völlig anderen Ton an.
Macron verkündete eine Impfflicht für das medizinische Personal und die Beschäftigten in vielen Behörden mit Publikumsverkehr. Außerdem kann am öffentlichen Leben im weitesten Sinn nur noch teilnehmen, wer über einen Gesundheitspass verfügt. Der muss entweder die vollständige Impfung, einen PCR-Test mit negativem Ergebnis oder den Nachweis der überstandenen Corona-Infektion enthalten.
Zwei Länder, zwei Wege
Macron machte das absehbare Scheitern des Vertrauens auf spontane Impfbereitschaft zum Thema und sprach davon, dass Millionen von Impfdosen darauf warten, verabreicht zu werden und dass die Quote der Geimpften noch zu niedrig ist. Unterdessen wird in Deutschland eher diskutiert, dass ungenutzte Impfdosen an Entwicklungsländer verteilt werden sollen.
Macrons Vorgehen zeigt Erfolg: Seit seinen Ankündigungen weist die Kurve der Impfungen in Frankreich wieder nach oben. Mehr als vier Millionen Menschen haben sich dort neu impfen lassen. Insgesamt haben nun 58 Prozent der Franzosen über 12 Jahren einen kompletten Impfschutz, im Vergleich zu knapp über 50 Prozent der Deutschen.
Die Bundestagswahl als Entschuldigungsfaktor?
In Deutschland dagegen windet sich Armin Laschet, der ab Herbst die Bundesrepublik regieren möchte, um eine klare Haltung herum. „Ich halte nichts von Impfflicht und halte auch nichts davon, auf Menschen indirekt Druck zu machen, dass sie sich impfen lassen sollen,“ sagte der CDU-Vorsitzende und Kanzlerkandidat Ende Juli im ZDF Sommerinterview. Denn in einem freiheitlichen Staat gebe es Freiheitsrechte nicht nur für bestimmte Gruppen, begründet er seine Ablehnung.
Allerdings widersprach er sich schon im nächsten Satz: In Deutschland gelte das Prinzip getestet, genesen oder geimpft für Erleichterungen, und das sei gut.
Getestet, genesen oder geimpft als Voraussetzung dafür, von Restriktionen verschont zu werden, das gilt in Frankreich mit seinem Gesundheitspass. Aber nicht in Deutschland, wo dieselben Rechte für Bürger mit und ohne Impfschutz gelten – und eben vor allem nicht in Laschets Vorstellungswelt.
Der ewige Wartesaal der deutschen Politik
Warum dieser Widerspruch des Mannes, der noch immer die besten Chancen hat, Nachfolger Angela Merkels zu werden? Laschet selbst klärt ihn auf: „Wenn wir dann im Herbst sehen, die Impfquote ist immer noch viel zu niedrig, finde ich, muss man dann weiter nachdenken. Aber nicht jetzt.“
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