Deutschland kann es sich leisten, gerade auch gegenüber China auf die Einhaltung von Prinzipien wie den internationalen Handelsregeln, Menschenrechten und
dergleichen zu pochen.

Warum es dies tun muss, um seinen Führungsaufgaben innerhalb der Europäischen Union nachzukommen.

Autor

Holger Schmieding
Chief Economist at Berenberg

DATE
September 2021

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Während die deutsche Volkswirtschaft ebenso wie die unserer EU-Partnerländer immer noch unter den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie leidet, erholte sich Chinas Wirtschaft seit dem Frühjahr 2020 zügig. Die chinesische Nachfrage nach deutschen Waren ist eine Stütze für die wirtschaftliche Erholung in Europas größter Volkswirtschaft.

Grafik 1: Anteil an der deutschen Warenausfuhr, in %

Gleitende Zwölfmonatsdurchschnitte. Quelle: Destatis

Auf den ersten Blick mag dieser Befund nahelegen, dass Deutschland gar nicht erst versuchen sollte, dem wirtschaftlich mächtig gewordenen und immer selbstbewusster auftretenden China die Stirn zu bieten. Es könnte sich damit selbst schaden. Um diese Argumentation zu untermauern, verweisen die Befürworter einer immer engeren und wirtschaftlichen Bindung an China auch auf die Rolle der USA. Obwohl die deutsch-amerikanischen Beziehungen sich unter Präsident Biden deutlich verbessert haben, zeigen die disruptiven Erfahrungen mit der Trump-Administration, dass die USA nicht mehr der verlässliche Partner sind, der sie einmal waren. Daher, so die Schlussfolgerung, wären die Europäische Union im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen gut beraten, enger mit China zusammenzuarbeiten.

Sind Prinzipien nur Nebensächlichkeiten?
Dieses Argumentationsmuster ist jedoch kurzsichtig. Es hält einer strategischen Überprüfung nicht stand.
Grundsätzlich gilt natürlich, dass der Versuch zu begrüßen ist, für beide Seiten vorteilhafte Wirtschaftsbeziehungen zu stärken. Aber bei Beziehungen zu Diktaturen wie China und Russland stellt sich eine grundsätzliche Frage: Inwieweit kann und soll Deutschland es sich dabei leisten, Werte wie Menschenrechte, Freiheit, Demokratie und die Einhaltung internationaler Verträge hochzuhalten?

Speziell bei China stellt sich die Kernfrage: Sollen Chinas zum Teil unfaire Handelspraktiken, sein gelegentlicher Diebstahl geistigen Eigentums, sein
Unterdrücken der Uiguren, der Verstoß gegen die in einem internationalen Vertrag verankerte Verpflichtung zur Achtung der bürgerlichen Freiheiten und der
Rechtsstaatlichkeit in Hongkong sowie seine Drohungen gegen Taiwan einfach hingenommen werden? Sollen Deutschland und die EU insgesamt ihren kollektiven Kopf in den Sand stecken und „business as usual“ betreiben?

Ein genauerer Blick auf die Fakten zeigt, dass der deutsche Handlungsspielraum in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen weit weniger eingeschränkt ist als oft angenommen wird. Deutschland ist aufgrund seiner inhärenten wirtschaftlichen Stärke und seiner festen Verankerung in der Europäischen Union in der Lage, gemäß seinen Werten zu handeln. Es muss daher nicht über gravierende Fälle chinesischen Fehlverhaltens hinwegsehen, um seine wirtschaftlichen Interessen zu wahren.

Das heißt nicht, dass Deutschland und die EU immer gleich auf Handelssanktionen setzen sollten, um China einen höheren Preis für das Missachten globaler Regeln zahlen zu lassen. Je nach Art und Schwere des Problems könnten auch andere Instrumente wie persönliche Finanz- und Reisesanktionen gegen beteiligte chinesische Beamte und Wirtschaftsführer eingesetzt werden.

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