Noch immer fehlt es parlamentarischen Untersuchungsausschüssen in Deutschland an der demokratisch gebotenen Transparenz und Öffentlichkeit.

Ob Olaf Scholz und die Finanzskandale Wirecard und Cum Ex/Warburg, Verkehrsminister Andi Scheuer und die Pkw-Maut oder Gesundheitsminister Jens Spahn und die Maskendeals: Trotz der Erfolge des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages bei der Aufklärung des Wirecard-Skandals ist das sogenannte „schärfste Schwert der Opposition“ an entscheidender Stelle stumpf.

Autoren

Fabio De Masi
MdB (2017–2021) und Mitglied des
Wirecard-Untersuchungsausschusses &
MdEP (2014–17)

Stephan-Götz Richter
Direktor des Global Ideas Center,
Berlin und Herausgeber
The Globalist

DATE
September 2021

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Noch immer fehlt es parlamentarischen Untersuchungsausschüssen in Deutschland an der demokratisch gebotenen Transparenz und Öffentlichkeit.

Ob Olaf Scholz und die Finanzskandale Wirecard und Cum Ex/Warburg, Verkehrsminister Andi Scheuer und die Pkw-Maut oder Gesundheitsminister Jens Spahn und die Maskendeals: Trotz der Erfolge des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages bei der Aufklärung des Wirecard-Skandals ist das sogenannte „schärfste Schwert der Opposition“ an entscheidender Stelle stumpf.

Untersuchungsausschüsse sind kein Gericht. Sie sollen allerdings im Zuge einer öffentlichen Tatortbegehung ermöglichen, dass sich die breitere Öffentlichkeit ein ungefiltertes Urteil über fragwürdiges Geschehen bilden kann. Erkenntnisse von Untersuchungsausschüssen können natürlich auch eine Rolle vor Gerichten spielen.

Aber eben dieser Rolle bei der öffentlichen Urteilsbildung werden Untersuchungsausschüsse in Deutschland weitgehend entzogen, da sie weniger öffentlich tagen als das in anderen vergleichbaren Ländern der Fall ist. Es ist zwar möglich, an bestimmten, nicht als „geheim“ eingestuften Sitzungsformaten teilzunehmen. Aber eine Live-Übertragung im Internet findet nicht einmal statt.

Von den USA lernen!

Der Vergleich zu den USA ist dabei besonders erhellend. Denn im Fall von potentiell schwerwiegenden Verfehlungen hoher Beamter und Politiker haben gerade die USA Deutschland vieles voraus. Während die Politik in den Vereinigten Staaten keineswegs skandalfreier ist, erfolgt die Aufarbeitung des Fehlverhaltens von Amtsträgern vergleichsweise schonungslos.

Auch wenn der ehemalige US-Präsident Donald Trump während seiner Amtszeit viel dafür getan hat, seine Verachtung der etablierten Institutionen Washingtons zum Ausdruck zu bringen, gilt im parlamentarischen Raum traditionell das Diktum „avoiding the appearance of impropriety” (das Vermeiden des Anscheins eines Fehlverhaltens).
Dies gilt umso mehr, wenn es um potentielle Straftaten geht.

Bei der Untersuchung von Skandalen wenden die Amerikaner im US-Kongress die gegenteilige Vermutung an, die im Deutschen Bundestag gilt: Im Zweifel tagen die zuständigen Parlamentsausschüsse dort öffentlich.

Grundlage hierfür ist der 1976 verabschiedete „Government in the Sunshine Act“,1 der im Interesse der Sicherstellung der für ein demokratisch organisiertes Gemeinwesen unerlässlichen Transparenz eine „Sonnenscheinregel“ aufstellt. Es gibt zwei wesentliche Gründe, warum die Untersuchungsausschüsse des US-Kongresses öffentlich und im gegebenen Fall auch vor laufenden TV-Kameras tagen.

Erstens soll so der Neigung von Politik und Verwaltung Einhalt geboten werden, alles nach besten Kräften unter den Teppich zu kehren. Und zweitens soll durch die Öffentlichkeit (und insbesondere der Fernsehkameras) ein kathartischer Prozess ausgelöst werden. Die „Pein“ der Öffentlichkeit, so ist die Hoffnung, soll mit Blick auf
Fälle künftigen potentiellen Fehlverhaltens eine abschreckende Wirkung haben.

Natürlich gibt es bei solchen Anhörungen auch in den USA Themenaspekte, deren Behandlung im öffentlichen Teil der Sitzung nicht zulässig sind. Hierfür listet der „Sunshine Act“ klar umgrenzte Regeln auf. Für solche Bereiche geht der jeweilige Ausschuss dann vorübergehend in eine „exekutive“ – also nicht-öffentliche – Sitzung über.

Auch in Großbritannien wird in diesem Dingen ähnlich verfahren. Auch hier wird dem „Grillen“ der betroffenen Amtsträger kathartische Wirkung beigemessen. Dort sind die betreffenden Untersuchungsausschusssitzungen grundsätzlich fernsehöffentlich. Der Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgt – wie in den Vereinigten Staaten – nur bei bestimmten Tatbeständen wie etwa Fragen der nationalen Sicherheit.

Es fällt leicht, in dieser Art der rituellen Reinigung durch Peinigung (bzw. ein hartes Hinterfragen) ein demokratisches Spektakel im Stil von „Brot und Spiele“ zu erkennen oder auch eine gewisse Doppelmoral. So erstaunt es etwa immer wieder, mit welcher Energie individuelles Fehlverhalten von Politikern in den USA ausgeleuchtet wird, während gleichzeitig der korrumpierende Einfluss von Großspenden auf die Politik weit weniger problematisiert wird.

Zu viel Öffentlichkeit vermeiden?

Trotz der inspirierenden Praxis in Großbritannien und den USA gibt es in der deutschen Politik ein stetiges Bemühen, durch Restriktionen bei der Herstellung der Fernsehöffentlichkeit
bei parlamentarischen Untersuchungsausschüssen ein zu viel an Öffentlichkeit zu vermeiden. Macht das Sinn?

Mit demselben Einwand ließe sich auch auf Redeschlachten im Bundestag verzichten. Denn dort gehaltene öffentlichen Reden haben ja in aller Regel keinerlei Auswirkung auf das Abstimmungsverhalten von Parteien, zumal die eigentliche Arbeit des Parlamentes in den Ausschüssen stattfindet. Der Bundestag würde so in der öffentlichen Wahrnehmung zu einer Black Box. Es wäre der sichere Tod demokratischen Streitens.

Es gibt weitere Gründe, warum die öffentliche Verhandlung von Skandalen die Qualität der Aufarbeitung verbessert. So können Personen mit Insiderwissen Vernehmungen anonym verfolgen und auf Widersprüche in den Aussagen hinweisen.

Diese Art von „Schwarmintelligenz“ ist gerade in Europa ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg von Politikerinnen und Politikern. Denn im Vergleich zu den Arbeitsstäben insbesondere im US-Kongress verfügen Abgeordnete in Deutschland nur über geringe personelle Ressourcen, um sich durch Aktenberge zu kämpfen! Aber nur so lässt sich die Kontrollfunktion in einer relevanten Form durchzusetzen, um von „Waffengleichheit“ gegenüber der Ministerialbürokratie ganz zu schweigen.

Relevante Beispiele aus unseren EU-Partnerländern

Auf Grundlage einer Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages (WD 3 – 3000 – 040/21) ergibt sich mit Blick auf die Öffentlichkeit von Untersuchungsausschüssen in den EU-Mitgliedsstaaten folgendes Bild:

  • In Deutschland besteht im Grunde eine doppelte Schranke bei der Herstellung der Öffentlichkeit via Ton und Bild-Aufnahmen bzw. Übertragungen. Diese bedürfen erstens einer Zweidrittel-Mehrheit, so dass die Herstellung der Öffentlichkeit in aller Regel von den Regierungsparteien verhindert werden kann. Auf diese Weise ist ein Untersuchungsausschuss aber nicht mehr ein Instrument der Opposition bzw. effektiven Regierungskontrolle. Obendrein besteht in Deutschland das zusätzliche Erfordernis der Zustimmung der anzuhörenden Person. Das macht das ganze Vorhaben noch widersinniger, weil es dem mit der Einrichtung eines PUA verbundenen katalytischen und kathartischen Effekt im Sinne einer effektiven öffentlichen Aufklärung gleich ein doppeltes Hindernis im Wege steht. Damit sind Unteraussuchungsausschüsse in Deutschland mangels echter Transparenz via Ton und Bild-Aufnahmen bzw. Übertragungen nur als ein an entscheidender Stelle limitiertes politisches Kontrollinstrument der Opposition einzustufen. Eine Herstellung demokratischer Waffengleichheit sieht anders aus.

  • In Belgien ist die Sachlage umgekehrt: Dort ist zum Ausschluss – und nicht, wie in Deutschland, zum Herstellen – der Öffentlichkeit eine Zweidrittel-Mehrheit erfordert.

    Das sollte auch in Deutschland das Ziel sein, wenn ein Untersuchungsausschuss wirklich ein effektives Instrument im Dienst der Opposition sein soll. Andernfalls ist die Gefahr groß, seitens der Regierungsmehrheit eher nur so zu tun, als ob man untersucht wird.

  • Auch im ehemals royalistisch geprägten Frankreich gilt die Regel, dass die Sitzungen – und dabei wohl auch die Beweiserhebungssitzungen und Anhörungen der Betroffenen – live über Fernsehsender beziehungsweise die Internetseite des Parlamentes übertragen werden.

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