Im Wahlkampf war auffällig, dass selbst die Grünen es heikel fanden, über die Kosten und Belastungen durch den Klimaschutz zu reden. Wenn wir aber an der Mega-Transformation eh nicht vorbeikommen, sollten wir sie umarmen, sollten wir schnell Leitplanken einführen, an denen die Wirtschaft sich orientieren kann. Dann kann sie noch die Chancen nutzen, die in ihr steckt, statt immer nur den Schaden zu begrenzen.

Interview

Ernst von Weizsäcker
Honorary President of the Club of Rome
und
Martin R. Stuchtey
Professor for Resource Strategy and Management at the University of Innsbruck

mit Sandra Pfister

DATE
01. Oktober 2021

Deutschlandfunk “Umwelt und Verbraucher” | Audio

Sandra Pfister: Im Wahlkampf war auffällig, dass selbst die Grünen es heikel fanden, über die Kosten und Belastungen durch den Klimaschutz zu reden. Wenn wir aber an der Mega-Transformation eh nicht vorbeikommen, sollten wir sie umarmen, sollten wir schnell Leitplanken einführen, an denen die Wirtschaft sich orientieren kann. Dann kann sie noch die Chancen nutzen, die in ihr steckt, statt immer nur den Schaden zu begrenzen.

Das ist die Kernbotschaft, die einer Kurzstudie des Global Ideas Center https://globalideascenter.org in Berlin – gefördert von der Stiftung Mercator https://www.stiftung-mercator.de/de/woran-wir-arbeiten/europa/ – der neuen Bundesregierung gerne mitgeben würde. Wir dürfen heute schon vorab über das Strategiepapier berichten. Vor der Sendung konnte ich mit Martin Stuchtey – er ist Professor für Ressourcenstrategie an der Universität Innsbruck – und mit Ernst Ulrich von Weizsäcker reden – er war Gründungspräsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie. Ein Punkt, der Ernst Ulrich von Weizsäcker besonders wichtig war: Bei allem, was gerade in Großbritannien schiefläuft, haben es die Briten geschafft, ihre Klimapolitik komplett aus dem Parteienstreit herauszuhalten – dadurch sei sie viel effizienter. Wie sie das denn machen, habe ich ihn gefragt.

von Weizsäcker: Nun der Hauptautor unseres Artikels, Adair Turner, ist ein ganz großer, berühmter Mann in Großbritannien: Er war die ersten Jahre der Leiter der Climate Change Committee. Was die beschließt, ist überparteilich bindend. So hat man sehr ehrgeizige und – wie ich meine – sehr realistische Ziele gesetzt, an die sich zu halten Pflicht ist. Gleichzeitig hat das einen gigantischen Modernisierungsschub für die britische Wirtschaft bedeutet.

Sandra Pfister: Das heißt: Die Briten haben – es war ja seinerzeit Tony Blair, der das eingeführt hat – diese klimapolitischen Grundsatzentscheidungen aus dem Parteienstreit rausgeholt und jetzt wird es überparteilich gemanagt?

von Weizsäcker: Ja, es war noch die Zeit von Premierminister Tony Blair, dem war das auch ein ganz großes Anliegen – er hat das auch im Parlament durchgesetzt.

Sandra Pfister: Bei uns ist jetzt ein Querschnittsministerium für Klimaschutz angedacht – das könnte ja in diese Richtung gehen. Wir haben aber auch ein Umweltbundesamt. Was kann dieses Committee, was die nicht können?

von Weizsäcker: Es kann gewissermaßen Befehle geben. Das Umweltbundesamt ist eine großartige Institution, die können aber nur Ratschläge geben.

Sandra Pfister: Das heißt, es ist unverbindlich. Und die anderen können sagen: so und so läuft’s?

 von Weizsäcker: Ja.

Sandra Pfister: Das ist interessant. Aber für mich klingt es auch ein bisschen so, als würde man da die demokratische Willensbildung auch unterlaufen. Management im Einzelnen kann man so einer Behörde vielleicht überlassen, aber die politischen Grundsatzentscheidungen müssen doch von der Politik getroffen werden?

von Weizsäcker: Nun gut, die Verfassung steht auch ein bisschen über der Politik. Und wenn etwas zentral wichtig ist für die Lebensqualität und die ökologische Situation in den nächsten 30-40 Jahren, dann darf man das nicht einfach dem – häufig ja doch ein bisschen kurzfristigen – Parteienstreit überlassen.

Sandra Pfister: Dieses Climate Change Committee, wie funktioniert das im Einzelnen? Können Sie uns da vielleicht noch mal einen Einblick geben? Ist es so: Die Politik hat Ziele festgelegt und die werden dann in Einzelteile zerlegt und von dem Committee weiterentwickelt? Oder wie läuft das?

von Weizsäcker: Nein – es ist eher so, dass die Ziele von dem Committee bestimmt werden. Also das fing an in Großbritannien mit 60% Minderung des CO2-Ausstosses bis 2050, dann 80% Minderung bis 2050 und dann 100% Minderung bis 2050 – also Klimaneutralität. Das entspricht ja auch der Zielsetzung des Pariser Klimaabkommens. Aber das ist nicht in dem Parteienstreit etabliert worden, sondern bereits von diesem Committee.

Sandra Pfister: Wenn das Committee aber harte Auflagen beispielsweise für Unternehmen macht, weil es sag „Anders kriegen wir Klimaneutralität bis 2050 nicht hin“, dann muss ja jemand politisch den Kopf dafür hinhalten und das durchfechten. Oder kann es umgekehrt auch als Institution taugen, hinter der sich Politiker dann leichter verstecken können?

von Weizsäcker: Ich würde doch vermuten, dass Boris Johnson das Entscheiden durch das Climate Change Committee nicht besonders lustig findet.

Sandra Pfister: Die lesen ihm die Leviten.

von Weizsäcker: Kann man sagen.

Sandra Pfister: Okay, wie optimistisch sind Sie denn, dass so was bei den Koalitionsverhandlungen hier in Deutschland herauskommen könnte?

von Weizsäcker: Ich halte es eher für unwahrscheinlich, dass man in Koalitionsverhandlungen über eine so tiefgreifende Veränderung der Grundsatzentscheidungen in unserem Lande beschließt. Aber es gibt ganz andere Gründe, dies zu tun. So wissen moderne Industrieführer in Deutschland, dass in ehrgeizigem Klimaschutz eine riesige Chance der Modernisierung und der Wettbewerbsfähigkeitsverbesserung der deutschen Industrie steckt.

Sandra Pfister: Aber trotzdem empfindet die Wirtschaft den Klimawandel als Bedrohung.

von Weizsäcker: Na ja, nicht “die Wirtschaft” – man kann natürlich sagen, der Bundesverband der Deutschen Industrie war immer schon seit Jahrzehnten eher ein Vertreter der älteren Industrien und nicht der kommenden. Dann denken Journalisten häufig: Na ja, der BDI hat es gesagt, das ist die deutsche Wirtschaft. Es ist ein bestimmter Teil der deutschen Wirtschaft.

Sandra Pfister: In der Klimatechnologie waren wir ja auch vor einer Weile mal führend. Wir sind es jetzt nicht mehr – aber kriegen wir das wieder hin?

von Weizsäcker: Wir waren führend in Sachen Umweltpolitik durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz von 2000 – das war ein großer Wurf, den sich die Briten nie zugetraut hätten. Das hat ja dazu geführt, dass weltweit – einschließlich in China – auf einmal die erneuerbaren Energien zu dem eigentlichen Bewegungsmotor wurden.

Sandra Pfister: Herr von Weizsäcker – wenn Sie einen Wunsch hätten, nur einen an die neue Koalition, was würden Sie den mitgeben?

von Weizsäcker: Dass Sie sich einigen auf das Wohlergehen der künftigen Generationen. Und da ist nach meiner Kenntnis die SPD eher vorne.

Sandra Pfister: Warum?

von Weizsäcker: Nun, Olaf Scholz war der Einzige, der im letzten halben Jahr gesagt hat: Wir brauchen dringend einen „Klima-Club“. Er hat außenpolitische Klimapolitik gedacht. Die Schwäche anderer ist, dass sie eigentlich nur auf innenpolitische Klimafragen eingehen – und das ist nicht gut genug.

Sandra Pfister: Herr von Weizsäcker, ich danke Ihnen ganz herzlich. Martin Stuchtey – Sie sind Co-Autor des Strategiepapier, das ja wie so eine Staatshilfe daherkommt für die neue Regierung, die sich konstituiert. Ein überparteiliches Klima-Komitee ist die eine Idee, von der haben wir jetzt gehört. Aber selbst wenn das käme – die Grünen müssen ja dabei den liberalen Klimaschutz als etwas verkaufen oder schmackhaft machen, was die Wirtschaft nicht nur belastet. Worin liegt denn ökonomisch die Chance im Klimaschutz?

Stuchtey: Ich glaube, die ökonomische Chance ist in der Unternehmenswelt längst verstanden worden – die scharren mit den Hufen, brauchen aber einen klaren Rahmen. Aber Sie könnten jetzt Industrie für Industrie durchgehen. Für die petrochemische Industrie etwa geht es um eine riesig große Entscheidung. Dort fragt man sich etwa: Welche Kapazitäten brauchen wir denn jetzt eigentlich noch auf? Und investieren wir in grünen Strom, in grünen Wasserstoff? Die Automobilindustrie wiederum fragt sich: Mit welchen Kapazitäten wollen wir uns auf neue Geschäftsmodelle einlassen?

All das sind Entscheidungen, die verstanden worden sind, die man treffen muss – aber dazu braucht es eben einen klaren Rahmen. Während des Wahlkampfes wurde eine neue konstruktive Haltung sichtbar: Wie schnell können wir da vorangehen? Aber auch: Können wir uns das erlauben? Meines Erachtens müssen wir Ressourcenschutz und Klimaschutz zu unserem neuen Geschäftsmodell machen. Die Wirtschaft wäre dazu bereit – sie braucht aber, wie gesagt, klare Rahmenvorgaben.

Sandra Pfister: Also Sie sagen: Die kämen auch mit harten Auflagen zurecht – aber die müssen wissen, welche Auflagen das sind?

Stuchtey: Ich glaube, dass zum Beispiel eine hohe CO2-Abgabe weniger schlimm ist für die Wirtschaft als eine unsichere.

Sandra Pfister: Okay, also Planbarkeit ist das, was Sie gerne ins Hausaufgabenheft der Verhandelnden reinschreiben würden. Aber Sie haben auch gesagt: Da liegt eine riesige Geschäftschance drin. Normalerweise sind Unternehmen relativ fit darin, diese Geschäftschancen zu sehen, und zwar früh zu sehen. Warum sehen die deutschen Unternehmen das nicht?

Stuchtey: Sie sehen das und viele davon nutzen die auch schon. Das gilt zum Beispiel die weltweite Entsorgungs- oder Recyclingwirtschaft oder die Wasserstoffwirtschaft oder aber den Markt für organische Lebensmittel. Die bieten alle große Wachstumschancen – da gibt es viele deutschen Unternehmen, die sich da in Stellung bringen. Aber viele warten auch ab. In der Summe bringt uns dieses Abwarten einfach von einem 1,5-Grad, ja gar von einem 2-Grad-Pfad ab. Und schlimmer noch: Es schwächt uns als Nation in unserer Wettbewerbsfähigkeit. Wir müssen lernen, mit möglichst wenig CO2-Emissionen, mit möglichst wenig Ressourcenverbrauch, mit möglichst wenig Naturzerstörung Wohlstand zu erzeugen. Dann möchte man doch gerne derjenige oder diejenige sein, die ein Geschäftsmodell haben, welches das leistet.

Sandra Pfister: Das hört sich so ein bisschen an, als würden Sie für Bürokratieabbau werben — also dafür, dass davon Abschied genommen wird, alte Industrien zu subventionieren. Wie optimistisch sind Sie, dass dafür sowohl das Bewusstsein als auch die Kraft da ist bei denen, die über den Koaltionsvertrag verhandeln?

Stuchtey: Vielleicht ist es die einzige Möglichkeit, sich aus den parteipolitischen Blockaden zu lösen und Einigkeit zu suchen in einen größeren Wurf. Es gibt übrigens politisch eine Präzedenz, die gar nicht so weit weg ist: der European Green Deal. Der ist so ein Paradigmenwechsel – wirklich der Versuch eines großen Wurfes. Da hat man gesagt: Wir machen es nicht wie früher. Früher haben wir wirtschaftliche Wachstumsziele, etabliert und dann in einem zweiten Schritt geschaut, welche sozialpolitischen Korrektive wir dann noch einbauen können. Und ganz zum Schluss, wenn man noch Atemluft und Aufmerksamkeit und Zeitressourcen hatte, wurde danach gefragt, was für ökologische Korrektive wir einbauen können. Jetzt stellen wir das alles vom Kopf auf die Füße. Wir sagen jetzt: Wir wollen eine klimaneutrale, regenerative Wirtschaft als Zielbild für 2050 und legen dann alles an politischen Instrumentarien dahinter, was uns hilft, dahin zu kommen.

Sandra Pfister: Glauben Sie: Kriegt man das ohne tiefe Disruption, ohne tiefen Bruch aktuell hin, so dass da wirklich keine Arbeitsplätze verschwinden?

Stuchtey: Es wäre naiv und unglaubwürdig zu sagen, dass das keine große Disruption ist, bei der es Gewinner und Verlierer geben wird. Aber wenn wir nichts machen, dann sind wir alle Verlierer. Und das sehen wir ja in vielen Bereichen, wo uns andere Länder den Schneid abkaufen. Wenn wir das zu lange abwartend beobachten, dann werden andere das Geschäftsfeld besetzen.

Sowohl Ernst von Weizsäcker wie auch mir fällt es tendenziell schwer, Großbritannien im Moment für irgendwas zu loben. Aber gerade das zeigt die Stärke der Idee des Climate Change Committee. Dieses Instrument hat man so effektiv aufgestellt, dass die Briten beim Thema CO2-Reduktion aktuell die Einzigen sind, die „on track“ sind. Das Thema Klimapolitik hat also den ganzen Brexit-Wahnsinn überlebt. Die Briten sehen die Klimapolitik als Chance, Großbritannien wieder wirtschaftlich zu alter Stärke zurückzuführen. Man kann jetzt natürlich gehässig sagen, dass die weniger zu verlieren haben, weil das Land natürlich industrielle Kompetenzen verloren hat, die wir noch haben. Aber das rechtfertigt nicht, dass wir nichts machen. Sonst hängen wir uns an dem berühmten “Innovator’s Dilemma” fest und klammern uns zu lange an die Erfolgsrezepte von gestern. Das darf es nicht sein.