Deutschlandfunk Wirtschaft am Mittag
Sandra Pfister: Die USA sind die eine Wirtschaftsnation, von der Deutschland als Exportland massiv abhängt. Die andere ist China. Maschinenbauer und die Chemieindustrie verkaufen dort sehr viel, insbesondere aber die deutschen Autobauer. Sie sind stark abhängig davon, dass die Chinesen ihre Autos kaufen.
Können wir es uns also leisten, Werte anzusprechen? Können wir ansprechen, dass Uiguren unterdrückt werden, dass Oppositionelle verschwinden, dass Taiwan und Hongkong immer enger am Gängelband geführt werden? Oder auch, dass chinesische Firmen geistiges Eigentum stehlen?
Interview
Holger Schmieding
Chief Economist at Berenberg
mit Sandra Pfister
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DATE
4. Januar 2022
Deutschlandfunk “Wirtschaft am Mittag” | Audio
Sandra Pfister: Die USA sind die eine Wirtschaftsnation, von der Deutschland als Exportland massiv abhängt. Die andere ist China. Maschinenbauer und die Chemieindustrie verkaufen dort sehr viel, insbesondere aber die deutschen Autobauer. Sie sind stark abhängig davon, dass die Chinesen ihre Autos kaufen.
Können wir es uns also leisten, Werte anzusprechen? Können wir ansprechen, dass Uiguren unterdrückt werden, dass Oppositionelle verschwinden, dass Taiwan und Hongkong immer enger am Gängelband geführt werden? Oder auch, dass chinesische Firmen geistiges Eigentum stehlen?
Die deutsche Politik war da bisher nur tastend unterwegs. Aber das könnte sich jetzt ändern. Auch die deutsche Wirtschaft war bislang immer sehr verhalten. Einer, der vehement darauf pocht, dass wir China gegenüber unsere Werte hochhalten, ist Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Er hat seine These in einer Studie für den Global Ideas Center in Berlin unterfüttert, die von der Stiftung Mercator gefördert wurde https://www.stiftung-mercator.de/de/). Und ich habe ihn gefragt, ob wir es uns ökonomisch leisten können, China zu kritisieren.
Holger Schmieding: Deutschland kann es sich selbstverständlich leisten, auch im Umgang mit China seine Werte hochzuhalten. Das konnten wir uns immer schon leisten. Letztlich braucht China die Wirtschaftsbeziehungen mit Deutschland und Europa mehr als umgekehrt.
Deutschland ist zwar als sehr ausfuhrstarkes Land abhängig vom Welthandel. Auch braucht es in gewissem Sinne Marktzugang zu China. Aber für uns ist auf Dauer wichtig, dass der Welthandel nach Regeln verläuft. Und deshalb ist es für uns wichtiger, auf Dauer die Regeln hochzuhalten, auch wenn das heißen kann, dass wir kurzfristig mal Einbußen beispielsweise im Handel mit China hinnehmen müssen.
Es ist schlicht und einfach ein Denkfehler zu glauben, dass weil wir so exportabhängig sind, dass wir Fehlverhalten unserer Handelspartner hinnehmen müssen. Umgekehrt ist es richtig, dass wir als eine vom Exportgeschäft abhängige Mittelmacht ein noch größeres Interesse daran als andere Länder, die Regeln des internationalen Handels und auch die Regeln des politischen Miteinanders auf dieser Erde hochzuhalten.
Sandra Pfister: Sie haben gesagt, wir müssen die Regeln hochhalten. Da gucken wir gleich noch mal näher rein. Aber was Sie zuvor gesagt haben, war auch sehr interessant, dass China den deutschen oder europäischen Markt mehr braucht als wir den chinesischen Markt. Ist das wirklich so?
Holger Schmieding: Ja, auf jeden Fall. Beispielsweise hat China im Jahr 2019 etwa 2,6 Prozent seiner Wirtschaftsleistung verdient durch Ausfuhren in die Europäische Union. Umgekehrt hat die Europäische Union aber nur 1,4 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung durch Ausfuhren nach China verdient. Bereits daran sieht man, dass China uns mehr braucht als umgekehrt.
Dazu kommt, dass China wesentlich ärmer ist. Dort ist das Pro-Kopf-Einkommen weniger als ein Viertel des Pro-Kopf-Einkommens in der Europäischen Union. Und China hat hohe Inlandsschulden. China hat zudem ein großes demographisches Problem. Das haben wir zwar auch, aber wir haben eine besser aufgestellte Rentenversicherung.
Und in China stützt sich die Legitimation der Führung vor allen Dingen auf wirtschaftlichen Erfolg. Das heißt letztlich, dass sich das ärmere, noch zurückgebliebene China eine Störung in seinem Entwicklungsprozess beispielsweise durch lange und große Handelskonflikte mit großen Absatzmärkten wie Deutschland und Europa schlichtweg noch viel weniger leisten kann als wir. Wenn wir wollen, sitzen wir am längeren Hebel. Es geht letztlich darum, dass wir den Hebel auch einsetzen und wenn, dann geschickt.
Sandra Pfister: Sie sagen, China sitzt am kürzeren Hebel, wir am längeren. Aber China setzt ja auch alles daran, die Binnenwirtschaft anzukurbeln, um etwas weniger abhängig zu werden vom Export. Kann es dann gefährlich werden für uns?
Holger Schmieding: China setzt viel daran, die Binnenwirtschaft anzukurbeln. Das ist letztlich auch richtig, das ist ein sinnvoller Entwicklungsschritt. Aber wir müssen bei China bedenken, dass die Binnenwirtschaft relativ stark durch übermäßige Kreditvergabe angekurbelt wurde. Das haben wir gerade bei den Turbulenzen rund um einen prominenten Immobilienfinanzierer in China wieder erlebt. China muss darauf achten, dass es insgesamt die Ausweitung der Kreditvergabe nicht übertreibt. Insofern sind Grenzen für China in der Ankurbelung der Binnenwirtschaft dadurch gesetzt. Es führt kein Weg daran vorbei. China ist auf den Welthandel angewiesen. Deshalb sind Handelskonflikte für alle Seiten kostspielig.
Sandra Pfister: Wir pochen darauf, dass Regeln eingehalten werden. Zum Beispiel, dass keine Copycats am Werk sind, also zum Beispiel unsere Technik abgeguckt wird. Welchen Hebel haben wir denn? Handelssanktionen?
Holger Schmieding: Wir haben mehrere Hebel. Zum einen natürlich schlicht und einfach Sanktionen gegen die handelnden Personen, gegen die, die für solche Verstöße politisch mitverantwortlich sind. Das können auch Finanzsanktionen sein, das können Reisebeschränkungen sein.
Aber wir sollten eben nicht ausschließen, dass wir auch den Zutritt zu unserem Markt als wichtigen Hebel ansetzen. Also notfalls auch Handelsbeschränkungen. Auf Dauer ist das für uns wahrscheinlich gut. Wir erinnern uns an das westliche Beharren auf den Regeln des Helsinki-Protokolls, wo Menschenrechte anerkannt wurden, gegenüber osteuropäischen Ländern in Zeiten des Kommunismus. Dieses Beharren auf Regeln hat auf Dauer betrachtet dem Image des Westens genutzt und auf Dauer dazu beigetragen, dass sich die Lage in den betreffenden Ländern gebessert hat.
Sandra Pfister: Auf Dauer betrachtet, ja. Aber kurzfristig könnte uns doch passieren, was beispielsweise Litauen passiert ist, dass da bestimmte Waren einfach nicht mehr reingelassen werden nach China. Das Land ist dann einfach dicht. Können wir uns das wirklich leisten?
Holger Schmieding: Letztlich können wir uns das leisten, wir sind ja nicht Litauen, wir sind ein wesentlich größeres Land. Der wichtigste Punkt ist hier, dass man es China nicht erlauben sollte, gegen einzelne, relativ kleine Länder so dramatisch vorzugehen, wie beispielsweise gegen Australien oder jetzt gegen Litauen.
Das ist ein Punkt, wo wir wirklich die Solidarität der Europäischen Union brauchen, denn die Europäische Union ist die größte Handelsmacht der Welt. Wir müssen als Europäer unsere Macht – und das ist vor allen Dingen die Macht über den Zugang zu unserem Markt – selbst bestimmen, indem wir sie schlicht und einfach einsetzen. Damit China nicht damit durchkommt, gegen Australien vorzugehen oder gegen Litauen vorzugehen, ein noch kleineres Land. Wenn wir hier nicht Präzedenzfälle schaffen, schwächen wir auf Dauer unsere Position.
Sandra Pfister: Dabei lachen sich die Chinesen ja immer schon kaputt, weil wir Europäer da überhaupt nicht mit einer Stimme sprechen. Sehen Sie das, dass das kommt?
Holger Schmieding: Ich sehe, dass es zumindest möglich ist. Ich erinnere mich an die ganze Brexit-Diskussion, die ich viel in London erlebt habe. Da hat man sich unter konservativen Briten auch immer fast kaputt gelacht über diese angeblich so uneinige EU. Da hat man geglaubt, man würde nach einem Austritt aus der Europäischen Union das eine EU-Land gegen das andere ausspielen können, weil diese sich ja nie einig sind.
Es stimmt, in der Europäischen Union sind wir uns oftmals nicht einig. Vor allen Dingen aber hat sich bei den Brexit-Verhandlungen gezeigt, dass in puncto Brexit, vor allen Dingen bei den wirtschaftlichen Folgen des Brexit beim künftigen Handelsabkommen mit Großbritannien, die Europäische Union mit einer Stimme gesprochen hat. Wir haben es also beim Brexit gezeigt. Wenn wir unsere gemeinsame Wirtschaftsmacht gemeinsam einsetzen, dann erreichen wir viel als Europäische Union. Und ich denke, das sollte Schule machen, beispielsweise auch beim Schutz Litauens.
Sandra Pfister: Sie haben ja auch gesagt, wir müssen dann einfach auch mal wirtschaftliche Einbußen hinnehmen. Wir müssen die Märkte dicht machen für chinesische Einfuhren. Umgekehrt könnte es dann zu einer Art Vergeltung kommen und die Chinesen machen ihren Markt dicht. Beispielsweise für deutsche Autos, aber auch für die Maschinenbauer. Mit welchem Schaden rechnen Sie da?
Holger Schmieding: Ich glaube, es geht nicht darum, dass wir einen Markt dichtmachen. Es geht darum, den Marktzugang gezielt bei einzelnen Produkten zu beschränken, wenn es notwendig sein sollte, um Regeln hochzuhalten und damit auf Dauer einen besseren Marktzugang zu sichern.
Die Schäden würden sich gerade in den Jahren 2022 und 2023 bei uns in sehr engen Grenzen halten. Denn wir haben sehr viel Binnennachfrage zurzeit. Die Leute sitzen ja auf vielen Ersparnissen, weil sie während der Pandemie nicht kaufen konnten.
Wir brauchen zurzeit China mehr als Lieferanten einiger Vorprodukte denn als Absatzmarkt. Anders gesagt: Die meisten deutschen Industrien würden gut damit zurechtkommen, wenn es beispielsweise einen Umsatzrückgang gegenüber China von, sagen wir mal 5 Prozent gäbe, weil wir das durch mehr Absatz innerhalb der Europäischen Union, den USA und vielen anderen Ländern, aber auch durch mehr Absatz auf dem heimischen Markt ausgleichen könnten.
So gesehen ist die Phase 2022-2023, wo wir viel internen Nachholbedarf haben, eigentlich eine relativ gute Zeit, auch im Umgang mit China und Russland mal die eine oder andere Sanktionen und Gegensanktionen in Kauf zu nehmen, um so die Basis dafür zu legen, dass künftig Regeln besser beachtet werden und Autokraten eben nicht mit Fehlverhalten einfach so davonkommen.
Sandra Pfister: Interessant ist ja auch, dass der BDI, also der Spitzenverband der Deutschen Industrie, und der Verband der Familienunternehmer, sich kürzlich in diese Richtung geäußert haben, nachdem da eigentlich lange Ruhe im Karton war. Wie schätzen Sie das ein? Gibt es da Rückendeckung?
Holger Schmieding: Ich denke, da gibt es durchaus Rückendeckung für eine prinzipienfeste Haltung gegenüber China und Russland. Es war ja lange so, dass man sich beim Handel mit China relativ wenige politische Gedanken gemacht hat. Aber wir sehen das unter Xi Jinping immer mehr, dass er den Zugang zum chinesischen Markt einsetzt als Instrument, um das Wohlverhalten des Auslands zu erzwingen, um Sportler zu bestrafen, die sich für die Freiheit Hongkongs oder für Menschenrechte in China einsetzen.
Chinas Politik wird aggressiver und deshalb ist es die natürliche Gegenreaktion, dass auch wir unser Verhältnis zu China auch – aber eben nicht nur – unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sehen, sondern unter längerfristigen strategischen Gesichtspunkten, die auf Dauer über viele Jahre hinweg auch für unsere Wirtschaft besser sind. Ich sehe, dass es da einen Prozess gibt in diese Richtung und ich halte das für angemessen.